Mitten in AbsurdistanEs geht nicht um den Dreck, sondern ums Prinzip

Im ICE von Berlin nach München blitzt blanke Abscheu auf. Und in Namibia hat zwar weniger die Weißwurst, aber umso mehr der bayerische Schuhplattler einen Fan.

Bahnangestellter gibt die Abfahrt frei, 1930

Mitten in ... Deutschland

Im ICE von Berlin nach München: Mit mir im Abteil sitzt eine Dame mittleren Alters. Sie stellt die beschuhten Füße auf den Rand des gegenüber liegenden Sitzes. Das gehört sich nicht, gar kein Zweifel. Allerdings - die Schuhe sind blitzsauber, auch die Sohlen. Plötzlich steht ein Schaffner in der Tür. Oder vielleicht der Zugchef? Sein Gesichtsausdruck: der blanke Abscheu. Der Arm ausgestreckt, der Zeigefinger ausgestreckt, deutend auf das schrecklich Anzuschauende: die Schuhe auf dem Sitzpolster. "Saubermachen!" In einem Ton, den ich zuletzt vor 50 Jahren auf dem Kasernenhof gehört habe. Die Dame spricht kein Deutsch. Fragender Blick. "Saubermachen!" Es klingt wie "Ablecken!" Ich sage: "Da ist doch kein bisschen Dreck." Er sagt: "Tut nichts zur Sache. Es geht ums Prinzip." Tür zu, Schaffner ab. Willkommen in Deutschland.

Hans Holzhaider

SZ vom 4. März 2016

Bild: Süddeutsche Zeitung Photo 28. Februar 2016, 18:022016-02-28 18:02:31 © Süddeutsche Zeitung/ihe